Energieflüsse optimieren: Leipziger Stadtwerke bauen virtuelles Kraftwerk auf

Im Zuge der Energiewende verändert sich mit der Zahl der Akteure im Stromnetz auch dessen Struktur: An die Stelle eines einzelnen Kraftwerks, an das viele Verbraucher angeschlossen sind, tritt eine Vielzahl dezentraler Stromerzeugungsanlagen, die direkt mit den Verbrauchern verbunden sind. Da die Stromproduktion teilweise wetterabhängig ist, sind zudem Speichereinheiten nötig. Das Ergebnis: Vielköpfige, komplexe Energiecommunities, deren Energieflüsse sich kaum noch überblicken lassen. Dennoch muss die Stabilität des Stromnetzes stets gewährleistet sein. Lässt sich das Energiemanagement optimieren, wenn man Energieerzeuger, -speicher und -verbraucher in einer Art „virtuellem Kraftwerk“ auch digital miteinander vernetzt? Das untersuchten die Leipziger Stadtwerke im Zuge des SPARCS-Teilprojekts zur Entwicklung virtueller Energiequartiere.

Im Rahmen des ergebnisoffenen Forschungsprojekts errichtet die Leipziger Stadtwerke ein virtuelles Kraftwerk. Hierfür greifen sie auf die Daten von dezentralen Erzeugungsanlagen, Speichern und  Verbrauchern zu. Der Industrie- und Gewerbebereich ist hier ebenso vertreten wie der Immobiliensektor: Zu den Datenlieferanten gehören neben der Leipziger Baumwollspinnerei (dortiges Energiemanagement-System) u. a. auch die WSL Wohnen & Service Leipzig GmbH (mit 48 Photovoltaik-Anlagen, Gesamtleistung ca. 1.400 Megawattstunden) sowie das hiesige BMW-Werk (Energiespeicher aus 700 alten BMW-i3-Batterien, Gesamt-Speicherkapazität ca. 15 Megawattstunden).

Die tatsächliche räumliche Entfernung der Community-Mitglieder spielt eine untergeordnete Rolle. Erfolgskritisch ist hingegen der Faktor Zeit: Um Stromerzeugung und -verbrauch zeitnah an die aktuelle Netzsituation anzupassen und möglichst realistisch extrapolieren zu können, sind Echtzeit-Daten notwendig.

Das virtuelle Kraftwerk umfasst die folgenden Ebenen:

  • Die Basis bildet die Geräte-Infrastruktur, also die Stromerzeugungsanlagen, Energiespeicher und angeschlossenen Verbrauchsgeräte.
  • Als Schnittstelle zwischen dem Energienetz und dem digitalen Netz fungiert die L-Box. Sie empfängt und übermittelt die Daten an die zentrale digitale Plattform. Zugleich steuert sie bei Bedarf den konkreten Verbrauch der nachgeschalteten Geräte.
  • Am Ende laufen auf der zentralen digitalen Plattform alle Daten aus sämtlichen angeschlossenen Anlagen zusammen – Erzeuger, Speicher und Verbraucher.
  • Diese Daten werden mithilfe einer speziellen Software automatisch analysiert und ausgewertet. Die Auswertung umfasst dabei auch eine Vorhersage dazu, wie sich Stromerzeugung, Energiespeicherung und Verbrauch wahrscheinlich entwickeln werden. Bis einschließlich dieser Ebene sind sämtliche Vorgänge komplett automatisiert.
  • Die eigentlichen Steuerungsentscheidungen sind jedoch nicht mehr Sache der Auswertungssoftware. Sie werden nach wie vor von Menschen getroffen: Experten aus den Bereichen Energieerzeugung, Energiehandel und Energienetze.

Das virtuelle Kraftwerk dient somit als hocheffizientes decision-support-system, das eine Vielzahl komplexer Daten in kürzester Zeit automatisiert auswerten kann und die Verantwortlichen in ihren Entscheidungen unterstützt.

Aktuell befindet sich das Arbeitspaket in der Umsetzungs-Phase, erste Erkenntnisse konnte die Projektgruppe bereits sammeln. Ein virtuelles Kraftwerk ist demzufolge technisch grundsätzlich möglich und unter zwei Voraussetzungen auch tatsächlich sinnvoll:

  1. Es sind möglichst viele Anlagen angeschlossen (je höher die Zahl der angeschlossenen Anlagen, desto größer ist die Datenbasis und desto verlässlicher sind die Auswertungen und Vorhersagen des virtuellen Kraftwerks).
  2. Die Qualität der gelieferten Daten ist hoch.

Zu 1.:  Entgegen der Progonosen zu Projektbeginn stehen einige Anlagen und Technologien noch nicht zur Verfügung. Zudem erweisen sich regulatorische Gegebenheiten als große Hürde. Denn sie verhindern z. B. den Zugriff auf Erzeugungs- und Verbrauchsdaten oder erschweren es Besitzern von Stromerzeugungsanlagen, ihren produzierten Strom ins Netz einzuspeisen.

Zu 2.: Erreichen lassen sich die gesteckten Ziele nur unter Berücksichtigung aktueller Datenschutz-Regelungen – eine zentrale Herausforderung für alle Beteiligten. Hier kommt es künftig im Rahmen der rechtlichen Vorgaben auf pragmatische Lösungen an.

Als Fazit der Studie appelliert die Projektgruppe an die Politik, die regulatorischen Rahmenbedingungen und Standards so zu überarbeiten, dass sie dringend notwendige innovative Ansätze wie den des virtuellen Kraftwerks ermöglichen und im besten Fall sogar befördern. Im Kern geht es dabei um drei Punkte:

  1. Offener und flexibler Zugang von kleinen Anlagen zu verschiedenen und wechselnden Marktsegmenten.
  2. Digitale Souveränität und Datenschutz durch selbstbestimmte Freigabe sowie algorithmische Transformation und Kryptographie.
  3. Innovation von urbanen Dienstleistungen durch experimentelle Geschäftsmodelle mit Standards und regulatorischen Vereinfachungen.

Sind diese Voraussetzungen gegeben, können virtuelle Kraftwerke einen wesentlichen Beitrag zum optimalen Energiemanagement in dezentralen Netzen leisten.

Autorin: Anja Vöhl, Julia Maria Kühne, Simon Albrecht (alle LSW)